Bei der Auftragsvergabe im Unterschwellenbereich muss ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse aus der konkreten Beurteilung der Umstände im Einzelfall festgestellt werden. Es darf nicht einfach hypothetisch aus bestimmten Gegebenheiten abgeleitet werden. Dies geht aus einem im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil des EuGH in der Sache „Tecnoedi Construzioni“ vom 06.10.2016 (Cs. C-318/15) hervor.
Dort hatte eine italienische Gemeinde die Vergabe von Bauleistungen zur Erweiterung und Verbesserung der Energieeffizienz eines Kindergartens mit einem Auftragsvolumen von rund 1,2 Millionen Euro in einem offenen Verfahren ausgeschrieben. Nach Eingang und Prüfung der Angebote wurde der Zuschlag vorläufig an eine Firma erteilt, die dann vor dem zuständigen Verwaltungsgericht in Piemont klagte, nachdem der Vergabeausschuss den Zuschlag nach einer von Amts wegen durchgeführten Prüfung endgültig doch an eine andere Gesellschaft vergab. Das Gericht hielt nun bei Prüfung der Klage ein grenzüberschreitendes Interesse trotz Nichterreichen des EU-Schwellenwertes für nicht ausgeschlossen, da die ausschreibende Gemeinde nicht mehr als 200 Kilometer von der französischen Grenze entfernt liegt und sich auch Baufirmen aus 800 Kilometern entfernten Regionen an dem Auftrag bewarben.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH unterfallen auch solche öffentlichen Aufträge den Grundregeln und Grundsätzen des Primärrecht des AEUV, soweit ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Ein solches Interesse kann sich insbesondere aus objektiven Kriterien wie dem Auftragsvolumen und dem Leistungsort, technischen Merkmalen oder Besonderheiten der Waren aber auch aus nachweislich ernsthaften Beschwerden von Unternehmen anderer Mitgliedsstaaten ergeben. Allerdings kann allein der Umstand, dass sich auch weit entfernte nationale Bieter an der Ausschreibung beteiligen, nicht zur Bejahung eines grenzüberschreitenden Interesses führen. Insbesondere ergibt sich hier auch für potentielle Mitbewerber aus dem europäischen Ausland die Belastung, sich oftmals fremden Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie der Sprache eines anderen Landes anzupassen, welches mit zusätzlichen Hürden verbunden ist. Die rein abstrakte Annahme der oben skizzierten Gründe reicht daher gerade nicht aus.
Den Vergabestellen ist daher zu empfehlen, anhand der einzelnen objektiven Kriterien konkrete Erwägungen bei der Auftragsvergabe für oder gegen ein grenzüberschreitendes Interesse anzustellen und diese auch zu dokumentieren.
Für nähere Informationen und rechtliche Beratung steht Ihnen Rechtsanwältin Dr. Angela Dageförde (Tel. 0511 590975-60) gern zur Verfügung.