Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Berufungsverfahren (Entscheidungen vom 12.11.2019, Az. 22 BV 17.2448 und 22 BV 17.2452) unter Beteiligung der Kanzlei DAGEFÖRDE, Frau RAin Anna Henze, über die Genehmigung von Windenergieanlagen und den Konflikt mit seismologischen Messstationen entschieden. Wesentliche Streitpunkte waren die Nachweisbarkeit der Beeinträchtigung der seismologischen Messstationen und die Frage, ob eine etwaige Beeinträchtigung rechtlich geschützt ist. Beide Fragestellungen hat der 22. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nunmehr bejaht.
Danach hält der Senat es zunächst für erwiesen, dass sich der Betrieb der beantragten Windenergieanlagen in einem Radius von 5 km zum Standort einer seismologischen Messstation nachteilig auf diese auswirkt. Der vom Betrieb der Windenergieanlage verursachte Nachteil für die seismologische Messstation liege darin, dass „detektionswürdigen“ Signale (Erdbeben oder Kernwaffentests) von den störenden Erschütterungen der Windenergieanlagen nicht oder nicht genau genug unterschieden werden können. Der Senat hat hierbei insbesondere die Beeinträchtigung der Erkennung geringer oder fehlender Erschütterungen – also kleiner Erdbeben – durch die seismologischen Messstationen als erheblich anerkannt. Die zusätzliche Störwirkung kann auch bei vorbelasteten Messstationen „spürbar“ und damit erheblich im Rechtssinne sein. Neben dem umfassenden Prozessvortrag, trugen die im Bayerischen Windenergieerlass vom 19. Juli 2016 geregelten Mindestabstände von Windenergieanlagen zu Erdbebenmessstationen zu diesen Feststellungen bei, welche der Senat als antizipiertes Sachverständigengutachten einstufte.
In rechtlicher Hinsicht ist der Senat der Auffassung, dass die zweckentsprechende Funktionsfähigkeit der seismologischen Messstationen als unbenannter öffentlicher Belang im Sinne von § 35 Absatz 1 S. 1 BauGB gesetzlich geschützt sei. Darunter sei die Fähigkeit zu verstehen, zum Zweck der weltweiten Erfassung von Erdbeben und von ggf. durch Kernwaffentests verursachten Erschütterungen, auch sehr schwache Signale ausreichend messen und von anderen Signalen unterscheiden zu können. Der Senat spricht in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten „öffentlichen Belang der bestimmungsgemäßen Aufgabenerfüllung“. Im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen der Funktionsfähigkeit der Messstation und der Verwirklichung des Privilegierten Windenergie-Vorhabens berücksichtigte der Senat die Funktionsweise der Messstation (hier die Array-Funktionalität und Breitbandfunktion). In den zu entscheidenden Fällen, war zudem für die Abwägung die historische, wissenschaftliche und beratungspolitische Rolle der betroffenen Messstationen ausschlaggebend. Dezidiert stellte der Senat die Unterschiede des vorliegenden Rechtsstreits zu der bislang die Diskussion prägenden Rechtsprechung zur Beeinträchtigung von Wetterradaren durch Windenergieanlagen dar.
Eine Übertragung der Entscheidungsgründe auf andere Messstationen in Deutschland erscheint möglich, allerdings lässt sich dabei das Ergebnis der Abwägung nicht ohne nähere Betrachtung vorwegnehmen. Es kommt im Ergebnis auf den mit den seismologischen Messungen verfolgten Zweck an, um die unbeeinträchtigte bestimmungsgemäße Funktion der Messstation als unbenannten öffentlichen Belang zu beurteilen.