BGH: Hochspannungs- und Hochdruckanlagen können Gegenstand des in § 46 Abs. 2 EnWG geregelten Netzübernahmeanspruchs sein
Mit seiner Entscheidung „Strom- und Gasnetz Stuttgart“ vom 07.04.2020, Az. EnZR 75/18 hat der BGH ein zweites Urteil zum Umfang des Netzübernahmeanspruchs gemäß § 46 Abs. 2 EnWG erlassen. Bereits im Jahr 2014 hatte der BGH in der Entscheidung „Stromnetz Homberg“ festgestellt, das gemischt genutzte Mittelspannungsleitungen vom Übereignungsanspruch des § 46 Abs. 2 EnWG jedenfalls dann erfasst sind, wenn an diese Kunden als Letztverbraucher angeschlossen sind (BGH, Urteil vom 03.06.2014, Az. EnVR 10/13).
In dem nun anhängigen Rechtsstreit hatte der BGH zu beurteilen, ob auch Hochspannungs- und Hochdruckanlagen von dem gesetzlichen Übernahmeanspruch erfasst sind. Dies hat er für die streitgegenständlichen Anlagen weitgehend bejaht und dabei den Übernahmeanspruch des § 46 Abs. 2 EnWG wie folgt konkretisiert:
„Ein Anspruch des neuen Energieversorgungsunternehmens zur Übereignung von Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene im Gemeindegebiet setzt voraus, dass die Anlage nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Versorgungsaufgaben nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte, und die Leitungsanlage eine mehr als nur unwesentliche Funktion bei der örtlichen Versorgung hat“, Rn. 23.
Maßgeblich für die Bewertung ist nach Ansicht des BGH die Versorgungsfunktion der betroffenen Leitung und nicht die Frage, ob ein Letztverbraucher an diese angeschlossen ist (Rn. 35). Ist ein Letztverbraucher unmittelbar an die Leitung angeschlossen, kommt dem lediglich eine Indizwirkung zu.
„Ausschlaggebend bei gemischt genutzten Leitungen höherer Druck- und Spannungsebenen ist, ob diese dazu dienen, auf dem Gemeindegebiet belegene Niederdruck- und Niederspannungsanlagen so miteinander zu verbinden, dass diese als einheitliches örtliches Verteilernetz betrieben werden können. Demgemäß werden Leitungsanlagen höherer Druck und Spannungsebenen grundsätzlich erfasst, wenn ohne eine Übereignung dieser Leitungsanlagen auf dem Gemeindegebiet nicht miteinander verbundene einzelne Inseln vorhanden wären“, Rn. 34.
Da in Netzübernahmen der Umfang der gemäß § 46 Abs. 2 EnWG zu übereignenden Versorgungsanlagen weiterhin Gegenstand von Streitigkeiten ist, leistet das Urteil des BGH einen wichtigen Beitrag zu deren Klärung.
Darüber hinaus enthält das Urteil auch eine Feststellung zu den vorgelagterten Konzessionierungsverfahren: Wegenutzungsverträge gemäß § 46 Abs. 2 EnWG sind nach Ansicht des BGH nicht leitungs-, sondern gebietsbezogen. Der Umfang eines Konzessionierungsverfahrens ergibt sich aus dem Gesetz und kann von der jeweiligen Gemeinde nicht auf bestimmte Spannungs- oder Druckebenen beschränkt werden (Rn. 27). Daraus folgt, dass beispielsweise die im Konzessionierungsverfahren den beteiligten Energieversorgungsunternehmen zur Verfügung gestellten Netzdaten keinen Einfluss auf den Umfang des Netzübernahmeanspruchs haben.
Urteil im Volltext (PDF)
Für Beratungen im Zusammenhang mit Netzübernahmen und der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionsverträgen steht Ihnen Rechtsanwalt Dr. Sven Höhne (zum Profil von Dr. Höhne) zur Verfügung.