Ein öffentlicher Auftraggeber darf die Entscheidung, auf welches Angebot er den Zuschlag erteilt, nicht von dem Nachweis abhängig machen, dass die Produktion ausschließlich innerhalb der Europäischen Union sowie weiteren festgelegten Staaten stattfindet. Das OLG Düsseldorf hält ein solches Vorgehen für vergaberechtswidrig.
Zuschlagskriterien sind die Faktoren, die ein öffentlicher Auftraggeber für die Auftragsvergabe heranzieht und anhand derer er seine Vergabeentscheidung trifft. Neben dem Preis kann ein Auftraggeber auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigen. Bei der Wahl der Zuschlagskriterien ist der Auftraggeber jedoch nicht völlig frei: Die Kriterien müssen eine Verbindung mit dem Auftragsgegenstand aufweisen und dürfen im Übrigen nicht vergaberechtswidrig sein.
Das OLG Düsseldorf hält das Zuschlagskriterium „vollständig geschlossener EU-Lieferkette“ für vergaberechtswidrig und somit unzulässig. Ein öffentlicher Auftraggeber hatte in einer europaweiten Ausschreibung den Nachweis gefordert, dass das ausgeschriebene Produkt ausschließlich in Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder den Staaten, die das Abkommen „GAP“ unterzeichnet haben, hergestellt wird. Zu den Unterzeichnerstaaten dieses Abkommens zählen u.a. Ägypten, Chile, Guatemala und der Libanon.
Seine Entscheidung begründet das OLG Düsseldorf unter anderem damit, dass das gewählte Zuschlagskriterium gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter verstoße. Denn grundsätzlich gelte in Vergabeverfahren das Verbot, Teilnehmer ungleich zu behandeln. Eine Ungleichbehandlung sei nur dann zulässig, wenn diese gesetzlich ausdrücklich erlaubt werde. Nach derzeitiger Rechtslage gebe es keine Regelung, die eine Differenzierung nach dem Herkunftsstaat erlaube. Vielmehr sehe das Vergaberecht vor, dass sich jedes interessierte Unternehmen unabhängig etwaiger geographischer Begrenzungen an einem europaweiten Vergabeverfahren beteiligen könne.
Ferner sei das Lieferkettenkriterium kein geeignetes Mittel, um europäische Umwelt- oder Sozialstandards zu erreichen. Denn dies erschließe sich durch die geographische Differenzierung höchstens mittelbar. Außerdem sei das Lieferkettenkriterium auch kein sozialer Aspekt, der geeignet ist, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das OLG Düsseldorf befürchtet sogar, dass das Kriterium die Versorgungssicherheit durch mögliche Leistungsausfälle von Lieferanten gefährden könnte.
Darüber hinaus ist das OLG Düsseldorf der Ansicht, dass mildere Mittel existieren würden im Vergleich zur pauschalen Benachteiligung aller in Drittstaaten produzierenden Bietern. In Betracht käme zum Beispiel die Privilegierung von Bietern, die nahe am Versorgungsort lagern.
Hinzu kommt, dass das gewählte Zuschlagskriterium nicht objektiv sei. Eine Vergabe setzte grundsätzlich jedoch voraus, dass objektive Kriterien verwendet werden. Zum einen soll dadurch verhindert werden, dass der Zuschlag willkürlich erteilt werden kann. Zum anderen soll eine wirksame, nachvollziehbare Überprüfung möglich sein, ob ein bestimmtes Angebot die Kriterien erfüllt. Das konkret verwendete Lieferkettenkriterium sei laut OLG Düsseldorf jedoch wegen der Heterogenität der einbezogenen Staaten (EU-Mitgliedsstaaten sowie Unterzeichner des GAP-Abkommens) nicht objektiv. Es erschließe sich nicht, warum ein Unternehmen, das unter anderem im Libanon produziert, die Versorgung eher gewährleiste als ein Unternehmen, das sein Produkt auch in Indien herstellt.
Für die Praxis ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass die Politik bzw. der Gesetzgeber den Rahmen bestimmt, in dem sich der öffentliche Einkäufer zu bewegen hat. Erst wenn eine Regelung erlassen wird, die eine geographische Begrenzung von Unternehmen aus Drittstaaten zulässt, kann ein öffentlicher Auftraggeber hiervon durch die Wahl entsprechender Zuschlagskriterien Gebrauch machen. Solange dies nicht der Fall ist, empfiehlt es sich nicht, die Lieferkette als Zuschlagskriterium zu verwenden.
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